Über mich

Nach dem Studium der Theologie in Tübingen und Göttingen trat ich 1969 in den Dienst der Württembergischen Landeskirche und spezialisierte mich in der Ausbildungsphase auf Religionspädagogik, da ich in der kirchlichen Jugendarbeit schon lange vor dem Studium aktiv war. Nach drei Jahren als Religionslehrer in Hessen war ich 10 Jahre lang Gemeindepfarrer im schwäbischen Wald und für den Rest meiner Dienstzeit Pfarrer für Religionsunterricht an den beruflichen Schulen in Backnang.  Auch im Ruhestand übernahm ich noch gerne Nebenlehraufträge. Mit dieser Website möchte ich Erfahrungen weitergeben und Mut machen zu einem Unterricht, der Friedensbildung an Schulen nicht nur als Aufgabe der Information versteht, sondern als Herausforderung für die Entwicklung friedfertiger Persönlichkeiten. Über meinen Werdegang im Rahmen der 1968er-Bewegung ist nach zu lesen unter: 

frblog.de/1968-gehring/

Frühkindliche Weichenstellungen

Die Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung für die Förderung einer friedfertige Persönlichkeit rückt in der Wissenschaft erst langsam in das Blickfeld.  Im Rückblick auf meine eigene Kindheit sind mir in letzter Zeit einige Weichenstellungen bedeutsam geworden.

NS-Säuglingspflege

Nach der Rückkehr aus der Entbindungsklinik im Februar 1944 ließ mich meine Mutter nach ihrem späteren eigenen Bericht eine ganze Nacht lang schreien. Dies war für sie als im NS-Staat ausgebildete Säuglingsschwester das angemessene Vorgehen. Als sie am Morgen bemerkte, das ich beim verzweifelten Strampeln die Versen wund gerieben hatte, erschrak sie und nahm von solchem Vorgehen Abstand. Sie erschien mir später eher von Reformpädagogik der 1920er Jahre geprägt in ihrem Erziehungsverhalten. Es erscheint mir möglich, dass ich aus dieser Erfahrung lernte: Du musst bis zur Schmerzgrenze oder darüber hinaus protestieren, um Erfolg zu haben. Der Erfolg war, meine Mutter von der NS-Säuglingspflege entnazifizert zu haben, die darauf abzielte, durch Frustrationen Aggressionen zu erzeugen, die - aufgestaut - später auf innere und äußere Feinde gelenkt werden konnten. Es blieb freilich noch zu tun: Als ich 1972 vor einer hauswirtschaftlichen Berufsschulklasse für freigiebiges Stillen warb, las eine Schülerin empört aus dem Lehrbuch vor: "Das Stillen ist keinesfalls über 15 Minuten auszudehnen. Hier beginnt Erziehung!"

Identifikation mit Opfern

Als ich zwei Jahre alt war, kam mein Vater ausgemergelt und wenig geduldig aus der Kriegsgefangenschaft heim. Wenn ich beim Essen Mühe hatte und weinte, wurde ich von ihm roh geohrfeigt. Nach dem Bericht meiner Mutter spielte ich daraufhin mit meiner Knuddelpuppe "Hansale". Als dieser nicht recht essen wollte, verprügelte ich ihn und warf ihn auf den Boden. Doch da ergriff mich das Mitgefühl, ich hob ihn auf, legte ihn an meinen Hals, streichele ihn zärtlich und sagte: "Arms Hansale, bisch na gfloga" (armes Hänslein, bist du hingefallen). Der offensichtliche Wechsel von der Identifikation mit dem Aggressor zur Identifikation mit dem Opfer erscheint mir die grundlegende Weichenstellung hin zur friedfertigen Persönlichkeit und die entscheidende Abkehr von der im NS-Staat erstrebten Erziehung zum Krieg. Ich hatte die Zärtlichkeit als konsequenteste Gegenkultur zur Gewalt entdeckt und gelebt. 

Antiautoritärer Widerstand

Jahrzehnte später erfuhr ich zufällig von einer meiner Erzieherinnen im Kindergarten, ich hätte mich an sie gewandt mit der Forderung, sie müsse mit mir nach Hause kommen und meinem Vater klar machen, er dürfe nicht über mich bestimmen. Gewiss kam ich in der Folgezeit nicht um Anpassungsleistungen an die väterliche Autorität herum, aber sein Eindringen in meine bis dahin nur von meiner Mutter begrenzten Kreise traf auf einen Widerstand, der sich in der Bewegung der 1968er reaktivieren ließ.

Erzeugen von Aggressionshemmungen

Als ich längst erwachsen war, erzählte mir mein Vater, er sei einmal wütend ins Kinderzimmer gekommen mit dem Schrei "wer war das", weil eines von uns Kindern etwas angestellt hatte. Ich sei geständig vor ihn getreten und hätte die Wange zur erwarteten Ohrfeige hin gehalten. Er sei aber so gerührt gewesen von meiner Ehrlichkeit, dass er nicht habe zu schlagen können.  Ich gehe davon aus, dass es weniger meine Ehrlichkeit war, die ihn gerührt hatte, sondern die Erinnerung, dass er selbst wehrlos ausgeliefert in die Kriegsgefangenschaft gezogen war und sich nun mit mir als wehrlosem Opfer identifizieren musste. Dies hemmte wohl seine Aggression. Im Rückblick erinnert die Szene natürlich an die Leidensfähigkeit bei Gandhi oder M.L. King, die wehrloses sich Ausliefern als politisches Kampfmittel einsetzt, um den ungerechten Angreifer öffentlich zu skandalisieren und dadurch zu hemmen.  Ich denke, dass ich unbewusst bei meiner Prüfungspredigt im orangeroten Talar  diese so wehrlose wie provokative Auslieferung öffentlich vollzog, indem ich bei meinem frontalen Angriff auf die herrschende Theologie meine Karriere aufs Spiel setzte. Ich hatte Erfolg, weil ich meine Dienstaufsicht entschlossen zu skandalisieren bereit war wie einst Gandhi beim Salzmarsch die Kolonialherren blamierte durch den begleitenden amerikanischen Reporter.